Top of Wallis – Tag 3

Gezeichnet von Wetter und Strapazen posieren wir für's Gipfelfoto

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Es ist Viertel nach zwei, der Wecker klingelt und ich bin gleich hellwach. Der grosse Tag steht bevor. Ich bin etwas aufgeregt, der höchste Berg der Schweiz wartet auf mich. Mit 4545 Meter ist der Dom zwar nicht der höchste Punkt des Landes, gilt jedoch also höchster komplett innerhalb der Landesgrenzen stehender Berg. Da ich in meinem Umfeld fast ausschliesslich von der geplanten Besteigung des Doms (die Dufourspitze habe ich mir technisch wie auch konditionell eh nie zugetraut und deshalb auch kaum erwähnt) gesprochen habe, ist die erfolgreiche Besteigung dieses Ungetüms eine persönliche Herzensangelegenheit.

Unsere Gruppe ist nicht die einzige, die in dieser Nacht zum Gipfel aufbrechen will. Noch weitere 11 Männer sitzen beim Zmorge, an unserem Tisch auch ein argentinischer Bergführer, der im Sommer jeweils im Wallis arbeitet und heute mit einem Gast die Besteigung in Angriff nimmt. Sehr internationales Publikum…

Doch was macht das Wetter? Noch gestern Abend schauten die Wetterprognosen ja nicht sonderlich gut aus. Ein kurzer Gang an die frische Luft zeigt Widersprüchliches: einerseits regnet es ganz leicht (schweizerdeutsch: fiserlet), andererseits blinzeln an einzelnen Stellen des Nachthimmels die Sterne durch. Keine Frage, wir starten ins Abenteuer!

Oli und Dani sind bereit für den Gletscher, während...
Oli und Dani sind bereit für den Gletscher, während…
...Hajo noch mit dem Seil beschäftigt ist
…Hajo noch mit dem Seil beschäftigt ist

Die Dunkelheit und der leichte Regen lassen praktisch keine brauchbaren Fotos zu. Wir sind nicht alleine unterwegs, eine Dreierseilschaft und Walter (so heisst der argentinische Bergführer) mit seinem Gast sind immer irgendwie in der Nähe von uns. Jede Gruppe sucht sich den optimalen Weg durch die grossen Spalten im unteren Teil des Festigletschers. Hajo hat dabei etwas Pech, das eine oder andere Mal erschallt ein „So eine Scheisse!“ durch die Nacht. Wer ein nächtliches Überqueren eines Gletschers noch nie mitgemacht hat, kann sich das kaum vorstellen, aber es ist wirklich manchmal fast zum Verzweifeln. Auch mit den heutigen, hellen Stirnlampen sieht man einfach zuwenig weit, um sich einen grösseren Überblick verschaffen zu können. So ist es dann halt einfach ein Gang durch ein riesiges Labyrinth, dies bei völliger Dunkelheit. Spannende Sache…

Nur zögerlich beginnt es hell zu werden, doch was wir sehen ist auch nicht unbedingt ein Aufsteller. Über uns eine geschlossene Wolkendecke, wenigstens ohne Regen. Nach drei Stunden Marschzeit über den Festigletscher erreichen wir das Festijoch, die heutige Schlüsselstelle. Es gilt, eine rund 100 Meter hohe Felswand hochzukraxeln. Dank dem Spürsinn von Hajo und unserer Erfahrung vom Feekopf sind wir zügig durch und betreten den Hobärggletscher.

Im Aufstieg zum Festijoch
Im Aufstieg zum Festijoch
Mein Bruder hat auch schon glücklicher ausgesehen
Mein Bruder hat auch schon glücklicher ausgesehen
Bereits auf dem Hobärggletscher unterwegs
Bereits auf dem Hobärggletscher unterwegs
Immer weiter, immer höher
Immer weiter, immer höher

Der Hobärggletscher ist im unteren Teil eine harte Nuss. Nicht etwa der Spalten wegen, die wir locker umschiffen. Was mir Sorgen macht, ist der tiefe, weiche Schnee. Immer wieder sinke ich bis zu den Knien ein, was einerseits sehr kräfteraubend, andererseits auch mental sehr zermürbend ist. Glücklicherweise wird die Schneedecke mit jedem Höhenmeter fester, was mir das Gehen um ein Vielfaches erleichtert. Um halb Acht erreichen wir auf rund 4000 Metern den Fuss der Nordflanke des Doms. Es fehlen noch immer über 500 Höhenmeter, was ich jedoch zu diesem glücklicherweise nicht weiss, da ich den Blick auf meine Uhr mit Höhenmeter bewusst verweigere.

Was mir ebenfalls etwas zu denken gibt, ist der Umstand, das Walter und sein Gast uns noch nicht begegnet sind. Denn die beiden sind uns beim letzten Sichtkonktakt vor einer Stunde schon viel voraus, und solange die uns nicht entgegen kommen, muss der Gipfel noch weit sein. Wir schreiten also voran, das Wetter wird übler, zum Teil starke Windböen erfassen uns. Wenn selbst ich mit meinen über 100 Kilogramm fast aus der Bahn geworfen werde, will das was heissen. Dann endlich begegnen wir Walter, der bereits oben war und uns schon jetzt gratuliert. Ich hoffe darauf, dass dies kein schlechtes Omen ist. Denn wegen den Windböen rechne ich jetzt jederzeit mit einem Abbruch der Übung. Hajo jedoch zieht beharrlich seine Spur, wir drei dahinter, ich mit immer knapper werdender Puste. Die Sicht noch immer faktisch Null, was wohl jetzt eher von Vorteil ist. Und plötzlich… OBEN!!! Da, das Gipfelkreuz, welches ich besonders von diesem Kurzfilm kenne. Wir jedoch können heute nicht dorthin, der sehr schmale Firngrat und die starken Böen sind eine (zu) gefährliche Kombination.

Da vorne steht das für heute nicht erreichbare Gipfelkreuz
Da vorne steht das für heute nicht erreichbare Gipfelkreuz
Gezeichnet von Wetter und Strapazen posieren wir für's Gipfelfoto
Gezeichnet von Wetter und Strapazen posieren wir für’s Gipfelfoto
Sensationelles Gipfelpanorama ;-)
Sensationelles Gipfelpanorama 😉

Ganze sechseinhalb Stunden haben wir für den Aufstieg benötigt. Mit soviel habe ich ehrlich gesagt nicht gerechnet, und beim Gedanken an den Rückweg… uiuiuiui. Die Verhältnisse vor Ort laden nicht zum Verweilen ein, deshalb beginnen wir bereits nach kurzer Zeit mit dem Abstieg. Schon bald sind wir wieder unterhalb der Wolkendecke, beim Blick in Richtung Nordwesten kann man bereits das Wort „Fernsicht“ in den Mund nehmen. Sollte sich die Sonne doch noch durchsetzen? Ach egal, spielt für uns ja eh keine Rolle, wir müssen so oder so noch bis zur Europahütte kommen.

Von der Dom-Nordflanke wechseln wir auf den Hobärggletscher
Von der Dom-Nordflanke wechseln wir auf den Hobärggletscher
Ob es wohl für etwas Sonne reicht?
Ob es wohl für etwas Sonne reicht?
Fotostopp auf dem Hobärggletscher
Fotostopp auf dem Hobärggletscher
Im Abstieg vom Festijoch runter auf den Festigletscher
Im Abstieg vom Festijoch runter auf den Festigletscher
Oli findet diese Kraxlerei ganz lustig
Oli findet diese Kraxlerei ganz lustig
Und wieder hindurch durchs Labyrinth
Und wieder hindurch durchs Labyrinth
Das Ende des Festigletschers naht
Das Ende des Festigletschers naht
Das höchst verdiente Znüni ist nicht mehr weit
Das höchst verdiente Znüni ist nicht mehr weit

Nach 10 Stunden und 10 Minuten treffen wir wieder in der Domhütte ein – welche ja noch nicht das heutige Tagesziel darstellt. Doch für einen kulinarischen Motivationsschub nehmen wir uns selbstverständlich die Zeit. Auch müssen unsere Rucksäcke wieder beladen werden, denn für den Gipfelsturm haben wir nur das unbedingt Nötige mitgenommen. Gerade als wir zu unserem letzten Teil der heutigen Reise aufbrechen, beginnt es zu regnen. Der sehr steile Abstieg zur Europahütte wird so sicher nicht einfacher. Wir nehmen uns die nötige Zeit, damit wir nicht jetzt noch einen Unfall bauen und versuchen uns trotz stärker werdendem Regen zu konzentrieren.

Wir verlassen die Domhütte bei einsetzendem Regen
Wir verlassen die Domhütte bei einsetzendem Regen
Heikler, da nasser Abstieg runter zur Europahütte
Heikler, da nasser Abstieg runter zur Europahütte

Schliesslich erreichen wir allesamt nach weiteren 75 Minuten Marschzeit die Europahütte. Die alles durchdringende Nässe drückt trotz des morgendlichen Erfolgs am Dom etwas auf unsere Stimmung. Auch das uns zugeteilte Matrazenlager kommt im Vergleich zu den bisherigen Unterkünften schlecht weg. Zum Glück sind wir für uns und können daher mehrere Matrazen für uns in Beschlag nehmen. Auch die Möglichkeit, in der Hütte zu duschen, wird heute gerne wahrgenommen. Ich fühle mich gleich wie neugeboren. Für Fotos vom Innern der Hütte bin ich trotzdem zu erschöpft. Umso mehr geniesse ich das köstliche Viergang-Menü (Hauptgang: Voressen, Härdöpfustock, Gemüse?), falle aber schon bald danach todmüde in den hochverdienten Schönheitsschlaf.

Das Foto von gestern sah einiges freundlicher aus
Das Foto von gestern sah einiges freundlicher aus
"Unser" Matrazenlager
„Unser“ Matrazenlager

Fazit des Tages: nun habe ich also mein grosses Ziel, den Dom, erreicht. Nur, so total zufrieden kann ich nicht sein. Immer wieder habe ich mich im Vorfeld gefragt, wie wohl die Aussicht von da oben sein würde. Nun, das weiss ich aus wettertechnischen Gründen noch immer nicht. Wie sagte doch mein Bruder gestern Abend: egal bei welchem Wetter, Hauptsache auf den Dom! Nein, das kann es auch nicht sein. Muss ich jetzt tatsächlich auch noch auf die Dufourspitze? In 48 Stunden werde ich schlauer sein…

Weiter zum Tag 4…

Tagesfacts: Aufstieg 1800 hm, Abstieg 2460 hm, Distanz 15 km, Gehzeit mit Pausen 11:25h

Unsere Tagestour
Unsere Tagestour

 

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