Sollte es heute für meinen ersten Alpengipfel im Jahr 2019 reichen? Nachdem ich im Juni bereits beim Weissmies aufgeben musste und letzte Woche bei Teil Eins unserer Hochtourenwoche ebenfalls schwächelte, stand für heute das Diechterhorn auf dem Programm. Die Bergspitze liegt auf 3387 Meter über Meer und somit nicht allzu hoch. Die technischen Anforderungen scheinen ebenfalls nicht allzu hoch zu sein. Dies die Theorie, nun aber der Reihe nach…
Seit unserem Aufbruch heute Morgen in der Gelmerhütte waren unterdessen fünf Stunden vergangen. Das Wetter meinte es sehr gut mit uns. Vielleicht sogar etwas zu gut. Die Sonne heizte mächtig ein. Ich entschloss mich deshalb kurzerhand, in einer Gletscherspalte nach willkommener Abkühlung zu suchen. Zwar nicht freiwillig und schon etwas überraschend. Während Oli und Sandra, die vor mir am Seil waren, die etwas verdächtig ausschauende Spalte noch problemlos überschritten, war die Schneebrücke bei meinem Kampfgewicht endgültig am Ende ihrer Kräfte angelangt. Mein Bruder, der gleich hinter mir ging und mit Thömu am Seil war, konnte nur noch tatenlos zusehen, wie ich relativ zügig in die Tiefen des Triftgletschers abrutschte. Wichtige Erkenntnis daraus: das von den Bergführern erwähnte Einfressen (und damit Abbremsen) des Seils an der Eiskante funktioniert tadellos. Ich jedenfalls gleitete gefühlt im Zeitlupentempo hinab und dachte mir, dass nun jede Sekunde die vor mir angeseilte Sandra um die Kante geflogen kommt. Dies jedoch passierte zum Glück nicht und ich lag auf meinem Rucksack, der wiederum am schmaler werdenden Spalt hängen blieb. Dani schaute hinab ins Dunkel, und ich konnte ihm gleich Entwarnung durchgeben: alles bestens hier unten, nichts schmerzt, ich liege wunderbar! Etwas kalt zwar, aber nicht unbequem. Und so entschloss ich mich, aus dieser eher ungewohnten Perspektive ein Foto zu schiessen, denn solche Gelegenheiten bieten sich (glücklicherweise!) nur selten.
Oben wurde meine Bergung organisiert und sobald mir Thömu versicherte, dass ich nun gut gesichert sei, versuchte ich von meiner horizontalen in eine vertikale Position zu kommen. Doch bevor sie mich rausholten, gab ich ihm natürlich noch die Anweisung, ein Foto von oben zu schiessen.
Ich wollte eigentlich versuchen, selbstständig rauszuklettern. Aber Dani, Sandra und Oli waren so motiviert, dass ich keine Gelegenheit bekam, meine ausgeprägten Eiskletterkünste zum Besten zu geben 🙂 Stattdessen wurde ich im Eiltempo die rund fünf Meter hochgezogen und so war ich vier Minuten nach dem Spaltensturz bereits wieder an der Oberfläche.
Oli hat die letzten Sekunden auf Video festgehalten:
Nach diesem kleinen und dank Seil, sehr tollen Helfern und ein paar Schutzengeln glimpflich verlaufenen Zwischenfall ging unsere Reise über den Triftgletscher weiter. Die restlichen eineinhalb Kilometer auf dem Gletscher waren ereignislos und rund 45 Minuten nach der unfreiwilligen Pause erreichten wir festen Untergrund.
Nachdem der erste grosse Durst gelöscht war, verstaute ich meine Siebensachen in der Hütte, machte eine Tour durch diese und bald darauf stand eine riesige Pfanne gefüllt mit einer fantastischen Röschti auf dem Tisch. Das haben wir uns verdient!
Wie gewohnt bei solchen Touren gönnte ich mir danach den verdienten Mittagsschlaf. Frisch erholt machte ich mich auf, um danach die Umgebung der sehr schön gelegenen Hütte fotografisch einzufangen.
Das Nachtessen war einmal mehr und wie mittlerweile nicht mehr anders zu erwarten sehr fein. Immer wieder eine Freude, was die Hüttenteams in den teils engen Küchen mit beschränkten Mitteln hinzuzaubern vermögen. Danach präsentierte uns die Natur wie schon gestern beste Abendunterhaltung und viele Gäste genossen draussen die geniale Show.
Bis auf die kniffligen letzten Meter am Diechterhorn war es eine Tour ganz nach meinem Geschmack. Fordernd, aber nicht überfordernd. So gefällt es mir. Und der Spaltensturz verlief gänzlich ohne Blessuren und sorgte heute Abend für Gesprächsstoff in der Hütte. Scheint wohl doch nicht allzu häufig vorzukommen. Ob ich wohl noch davon träumen werde? Wir werden sehen…